Wissenschaftliches Symposium der DGE am 31. August 2022
Das Thema Personalisierte Ernährung (PE), häufig auch „genbasierte Ernährung“ oder „Gen-Diät“ genannt, hat hohe Aktualität. Auf dem heutigen Wissenschaftlichen Symposium der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) diskutieren nationale und internationale Expert*innen aus ihrer Forschungsperspektive den Sachstand und die Zukunftsperspektiven der PE. Über 300 Interessierte nehmen online teil. Während Verbraucher*innen die Qualität solcher Angebote oft nicht einordnen können, sind sich die Expert*innen einig. „Bis heute konnte nicht bewiesen werden, dass Personen aufgrund genbasierter Ernährungsempfehlungen ihr Körpergewicht erfolgreicher reduzieren können oder eine gesündere Ernährungsweise annehmen. Genetische Informationen weisen bislang keine nachweisbare Tauglichkeit für sonst stoffwechselgesunde Menschen und für darauf abgestimmte individualisierte Ernährungsempfehlungen auf“, stellt Prof. Dr. Hannelore Daniel, die das Symposium leitet und moderiert, fest. Die DGE-Arbeitsgruppe Personalisierte Ernährung legt daher ein neues Modell der PE vor. Es gewichtet die phänotypischen Merkmale wie Gewicht, BMI usw. sowie das, was gegessen wird, stärker und setzt dafür verschiedene neue Messmethoden ein. „Die personalisierte Ernährung von Morgen muss den Menschen Handlungshilfen in einer immer schwerer zu durchdringenden „Ernährungsumwelt“ bieten. So kann sie dazu beitragen, Gesundheit, Genuss und Umweltbedarfe sowie sozial gerechten Konsum gleichermaßen zu ermöglichen und dabei die spezifische Lebensumwelt des Individuums berücksichtigen“, sagt Daniel. Dafür ist eine bessere Integration der Datenwissenschaften und multidisziplinäre Zusammenarbeit unerlässlich.
Genotyp, Phänotyp und mehr
Im ersten wissenschaftlichen Themenblock zeigt Prof. Murielle Bochud von der University of Lausanne auf, welchen Beitrag PE für die öffentliche Gesundheit leisten kann. Prof. Dr. Ute Nöthlings von der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn spricht über die Entwicklung und den Einsatz von Ernährungserhebungsinstrumenten in Kohortenstudien. Denn eine gute Ernährungserhebung ist für ernährungsepidemiologische Studien und PE gleichermaßen unerlässlich. Bislang verwendete Methoden, bei denen Proband*innen aufschreiben sollen, was sie essen, sind oft ungenau. Neuere Ansätze setzen Kurz- und Langzeiterhebungsinstrumente kombiniert ein. Nöthlings arbeitet daran, innovative Ernährungserhebungsinstrumente wie Apps und eine standardisierte Vorgehensweise für die Analyse von Ernährungsmustern zu entwickeln. Neue Internet- und Telekommunikationstechnologien unterstützen dabei, die verfügbaren Daten zum Lebensmittelkonsum für jede*n Studienteilnehmer*in weiter zu verbessern.
Obwohl es eine genetische Komponente bei der metabolischen Antwort auf eine Mahlzeit gibt, zeigen neuere Studien, dass die Genetik keine so große Rolle spielt wie erwartet. Die „Personalised Responses to Dietary Composition Trial“ (PREDICT 1) Studie mit über 1 000 Teilnehmenden untersuchte im Alltagssetting die postprandialen Glucose- und Lipidantworten nach dem Verzehr von definierten Mahlzeiten. Dr. Sarah Berry vom King’s College in London berichtet, welche Anteile z. B. die Genetik und das Mikrobiom sowie die Mahlzeitenzusammensetzung an den unterschiedlichen Stoffwechselantworten haben.
Dr. Kevin Hall beschreibt in seinem Beitrag mit Blick auf den Energie(stoff)wechsel, was uns unterscheidet und in welchem Umfang sich Stoffwechselreaktionen auf diätetische Maßnahmen vorhersagen lassen.
Neues Modell für Personalisierte Ernährung
Im zweiten Themenblock präsentiert die im Frühjahr 2021 gegründete DGE-Arbeitsgruppe Personalisierte Ernährung die Ergebnisse ihrer bisherigen Arbeit. Unter der Leitung von Prof. Dr. Hannelore Daniel und Prof. Dr. Jakob Linseisen haben 15 Expert*innen sowie DGE-Mitarbeiterinnen das Thema in all seinen Aspekten beleuchtet und bewertet. Die AG hat ein neues Modell der PE erarbeitet, das Prof. Dr. Britta Renner von der Universität Konstanz und Prof. Dr. Anette Buyken von der Universität Paderborn vorstellen. Hier stehen beim ratsuchenden Menschen die individuellen Befähigungen und Begrenzungen sowie das Essens-Umfeld im Mittelpunkt und weniger die biomedizinische Charakterisierung des Individuums. Die neue PE fokussiert somit eher auf den Weg bzw. die Maßnahmen. Mit mobilen Geräten können über entsprechende Werkzeuge wie Apps beispielsweise Einkaufs- bzw. Verzehrentscheidungen gezielt beeinflusst werden, indem auf den Bedarf und die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnittene Alternativen direkt aufgezeigt werden. Beim Einkauf ist ein Hinweis zu einer eigenen Zubereitung als Ersatz für ein Convenience-Produkt denkbar, mit der Kaufempfehlung für die Zutaten inkl. eines Rezeptes. Eine neue PE kann somit wesentlich zu einer nachhaltigeren und gesundheitsfördernden Ernährungsweise beitragen. Die AG geht davon aus, dass mit entsprechend ausgearbeiteten und vertrauenswürdigen Angeboten auch Zielgruppen wie bildungsfernere Personen oder Personen mit Sprachbarrieren erreicht werden können. Denn diesen stehen existierende Angebote für PE praktisch nicht zur Verfügung; sie würden aber vermutlich von einer Personalisierten Ernährung besonders profitieren. Damit könnte die neue PE nicht nur einen Nutzen für die Umwelt, sondern auch für die öffentliche Gesundheit liefern. Dazu diskutieren in einer abschließenden Podiumsrunde sieben Expert*innen aus verschiedenen Handlungsfeldern von der Wissenschaft, über Verbände und Verbraucherorganisationen und der Wirtschaft das neue PE-Modell.